auf Spiegel-online wurde am 22.06.2012 ein Artikel von Angelika Franz veröffentlicht, der sich mit einer vergleichenden Studie über traditionelle und moderne Fischerei beschäftigt. Mit einem spannenden Fazit. Historisches Regelwerk drohte Hawaiianern bei Überfischung mit der Todesstrafe
Von Angelika Franz
Wer zu viel oder falsch fischte, konnte des Todes sein. Jahrhundertelang galten auf Hawaii strenge Fangregeln, um die Fischbestände zu schützen: Die moderne Fangindustrie könnte viel vom alten Gesetz der Insulaner lernen, meinen zwei Forscher, die die Fischerei Hawaiis mit der Floridas verglichen haben.
Wer in den alten Zeiten auf Hawaii Fisch fangen wollte, musste viele Regeln beachten. Während des jährlichen Makahiki-Festes beispielsweise waren Teile der Korallenriffe gesperrt – einen bis drei Monate lang. Ähnliches galt für die monatlichen Feste, bei denen drei Tage lang keiner zum Fischen hinaus aufs Riff durfte. Nach der Zeremonie des Aku kapu durfte niemand mehr echten Bonito fangen und der Makrelenscad war nach der Zeremonie des O pelu kapu tabu. In den tieferen Zonen durfte nur fischen, wer zur Klasse der Fischer gehörte und vom Chief mit entsprechender Ausrüstung ausgestattet war. Selbst das Verspeisen von Fisch war streng geregelt. Frauen blieb der Genuss von Makrelen, Haien, Rochen und Ziegenfischen vorenthalten. Nur Hohepriester und Chiefs durften Schildkröten essen.
An diese Regeln hielten sich die Hawaiianer mindestens über die vier Jahrhunderte von etwa 1400 bis zur Ankunft der ersten Europäer im Jahr 1778. Das Ergebnis war erstaunlich: Trotz ungewöhnlich großer Fangmengen blieb die Fischpopulation über all die Zeit konstant. „Vor dem ersten Kontakt mit Europäern lagen die Fischfangraten der Hawaiianer weit über dem, was die Riffe derzeit hergeben“, erläutert John „Jack“ N. Kittinger vom Center for Ocean Solutions an der kalifornischen Stanford University. „Daraus können wir lernen, dass die Fischfangindustrie – wenn sie effektiv gemanagt wird – sowohl hochproduktiv als auch nachhaltig wirtschaften kann.“
Intensiv, aber nachhaltig gefischt
Für ihre Studie, die in der Zeitschrift „Fish and Fisheries“ erschienen ist, verglichen Kittinger und seine Co-Autorin Loren McClenachan von der kanadischen Simon Fraser University historische Daten aus Hawaii und Florida. Dazu werteten sie Akten aus alten Archiven über private und kommerzielle Fischerei aus, ebenso wie historische Fangquoten und Angaben zur Bevölkerungsdichte und lokalem Fischkonsum. Für einige Jahre, in denen Daten fehlten, mussten die Forscher zwischen den vorhandenen Angaben interpolieren. „Aber glücklicherweise verfügen sowohl Hawaii als auch Florida über eine wahre Fülle von historischen Aufzeichnungen und Informationen, aus denen wir schöpfen konnten“, erzählt Kittinger.
Obwohl die Fangquoten für beide Regionen heute annähernd gleich sind, unterscheidet sich die historische Entwicklung drastisch. Fang wird üblicherweise gemessen in der Anzahl gefangener Tonnen (t) Fisch und Meeresfrüchte pro Quadratkilometer (km²) pro Jahr. Nun gehen die Meinungen darüber, wie viel man nachhaltig fischen darf, weit auseinander: Schätzungen reichen von einer Tonne pro km² bis zu über 25 t/km².
Die Hawaiianer bewegten sich vor Ankunft der Europäer klar im oberen Bereich. Um 1400 lag der Fang schon über 5 t/km². Bis zur Ankunft der Europäer pendelte sich der Jahresfang zwischen 12 und 17 t/km² ein. Nachdem eingeschleppte Seuchen viele Einheimische dahingerafft hatten, fiel der jährliche Fang bis auf 3,6 t/km² im Jahr 1878. Ende des 19. Jahrhunderts stieg er wieder auf 10,4 t/km² – und liegt dort etwa bis heute. In den vergangenen zehn Jahren bewegte er sich konstant zwischen zehn und zwölf Tonnen pro Quadratkilometer.
In Florida dagegen stieg der Jahresfang erst nach 1930 über fünf t/km². In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts schnellte er aber in die Höhe und lag in den achtziger Jahren bis 1996 meist über 20 t/km². Zwischen 1996 und 2008 brach er um etwa 50 Prozent ein und schwankt heute zwischen 12 und 13 t/km². Viele Fischarten, die im vergangenen Jahrhundert den Hauptteil der Fänge ausmachten, sind heute fast oder ganz ausgestorben. Der historische Fischfang in Florida könne als serienmäßige Ausbeutung von wertvollen Spezies für die Exportmärkte beschrieben werden, erklären die Wissenschaftler.
Früher religiöse Verbote, heute Fischereigesetze
Die Lage der beiden Regionen trug wesentlich zu diesem Unterschied bei. Das isoliert gelegene Hawaii war darauf angewiesen, die Fischpopulation zu schützen und zu bewahren. Florida war dagegen durch die Landanbindung nicht ausnahmslos auf die Nahrung aus dem Wasser angewiesen. Und während von Hawaii aus jeder exportierte Fisch auf dem Transportweg längst verfault wäre, lagen mit Kuba und dem amerikanischen Festland zwei große Märkte für den Export direkt vor der Küste Floridas.
Die Methoden der Hawaiianer zum Schutz der Fische sind den heutigen gar nicht so unähnlich. Was bei ihnen mit religiösen Anordnungen oder Tabus umgesetzt wurde, regeln heute die Fischereigesetze: Schonzeiten, regionale Beschränkungen oder niedrige Fangquoten für besonders gefährdete Arten. Der Unterschied liegt in der Umsetzung. Wer heute zu viele Fische zur falschen Zeit fängt, wird verwarnt – oder muss im schlimmsten Fall ein Bußgeld zahlen. Auf Hawaii waren die Strafen weitaus drastischer. „Es war nicht unüblich, dass, wer das kapu (das traditionelle Regelwerk) brach, geblendet oder sogar mit dem Tod bestraft wurde“, sagt Kittinger. „Die Strafe diente nicht nur dazu, die Riffe zu schützen. Sie galt vor allem für den Ungehorsam gegen die Befehle und Verordnungen des Chief. Das käme in unseren modernen Zeiten einem Hochverrat gleich.“
„Siebenhundert Jahre Geschichte zeigen ganz deutlich, dass eine Fangregulierung entscheidend ist“, sagt McClenachan. Aus dem alten Regelwerk der Hawaiianer kann die moderne Fischereiindustrie viel lernen. Die beiden Autoren der Studie würden sich wünschen, dass ihre Arbeit den einen oder anderen Denkanstoß gibt. Selbstverständlich nicht in allen Belangen. „Die Hawaiianer straften immerhin mit ziemlich schweren Maßnahmen“, räumt Kittinger ein. „Das empfehlen wir natürlich auf keinen Fall. Aber es lässt sich doch ganz klar sehen, dass die heutigen Bemühungen um Einhaltung der Regeln ein bisschen Straffung gut vertragen könnten.“