Seit dem 19. August sind die kolumbianischen Bauern im landesweiten Streik. Sie blockierten die Straßen, kippten Milch auf Autos und sie stoppten quasi die Nahrungsmittelproduktion für die Städte. Das Problem? Die Regierungspolitik bedroht Klein-Bauern massiv in ihrer Existenz. Die Proteste haben kleine Verbesserungen erzielt, vor allem in der Saatgutfrage.
Kleinbäuerliche Landwirtschaft wird vom kolumbianischen Staat kaum unterstützt. Im Gegenteil, die kürzlich unterschriebenen Freihandelsabkommen Kolumbiens mit der EU und den USA untergraben massiv die Existenz kolumbianischer KleinproduzentInnen, die jetzt mit subventionierten Nahrungsmittelexporten konkurieren müssen. In den USA und Europa werden die Agrarproduktion, der Export und z.T. sogar die Düngemittel subventioniert. Wenn diese so verbilligten Produkte in Kolumbien auf den Markt kommen, drückt das massiv das dortige Preisniveau. Einheimischen ProduzentInnen, die ohne Subventionen zurecht kommen müssen, bleibt dann nur noch mit ihren Preisen runterzugehen. Im Augst schütteten Milchbauern in Boyacá tausende von Litern Milch auf die Straße und auf Autos. Einer von ihnen erklärte diese verzweifelte Aktion: er schütte lieber die Milch auf die Straße, als weiter die Milch für weniger als die Hälfte des Produktionspreises zu verkaufen.
Ein weiteres Problem für die kleinbäuerliche Landwirtschaft in Kolumbien, ist das von der Regierung propagierte Landgrabbing – der Verkauf großer Flächen an große Konzerne, die meist aus dem Ausland kommen. Damit unterstützt die Regierung ein Landwirtschaftsmodell, das auf export-orientiertes Agro-Bussines setzt, im Interesse einer befreundeten Elite in Kolumbien und auf Kosten bäuerlicher Landwirtschaft, Ernährungssouveränität und der Menschen (vor allem) auf dem Land.
Mit dem Rücken zur Wand starteten Bauernorganisationen im Juni Proteste, die bis August zu einem landesweiten, von vielen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen getragenen Protestbewegung wuchs. Die Öl- und Bergarbeiter, LKW-Fahrer, Teile des Gesundheitssektors, 10.000 Indigenas und schließlich mehr als 20.000 StudentInnen schlossen sich den Protesten an und legten am 29. August die Hauptstadt Bogota lahm.
Die Studenten waren sich mit den Forderungen der Bauern einig und riefen auf den Demos laute Sprüche gegen GMOs (gentechnisch manipulierte Organismen) und für Ernährungssouveränität. Gleichzeitig brachten sie ihre eigenen Forderungen nach kostenloser öffentlicher Bildung und erweiterten so über die Agrar-Frage hinaus die Proteste zu einer Bewegung für eine Änderung der kolumbianischen Politik.
Die Antwort der Regierung war chaotisch, widersprüchlich und die massive Polizeigewalt erschreckend. Es gab mehrere Tote, viele Verwundete und mehrere 100 Verhaftete.
Gesetz 970
Eine wichtige Rolle für die Mobilisierung dieser breiten Bevölkerungsgruppen, war die Saatgutfrage.
Die Freihandelsabkommen mit Washington und Brüssel verpflichten Bogotà juristische Monopolrechte über Saatgut, das von US- und EU-Konzernen verkauft wird, aufzustellen. Das soll ein Anreiz sein, dass diese Firmen in Kolumbien investieren. Aber es geht noch weiter: nicht nur die Monopolrechte am eigenen Saatgut der Konzerne werden garantiert, diese Wirtschaftspolitik will auch die Alternativen zum “Konzern-Saatgut” verbieten. Geldstrafen und sogar Gefängnis drohen Bauern, die Saatgut verkaufen, das sie auf ihrem Hof angebaut haben oder auch beim Verkauf von nicht registriertem “indigenen Saatgut” (bäuerlichen Sorten)1.
Im Sinne dieser Freihandelsabkommen stürmten schon 2011 kolumbianische Gesetzesvertreter die Lagerhallen und LKWs von Reisbauern in Campoalegre, in der Provinz Huila und zerstörten 70 Tonnen Reis, der nicht den gesetzlichen Bestimmungen entsprach. Dieses militärische Eingreifen um Saatgut von Bauern zu zerstören schockierte viele Menschen und inspirierte eine chilenische Aktivistin, Victoria Solano, darüber einen Film zu machen. Der Film heißt “9.70”, wie die Nummer des Gesetzes von 2010, das dem Staat das Recht gibt Saatgut zu zerstören, wenn es nicht ihren Kriterien entspricht. Der Film ist auf Spanisch (http://youtu.be/kZWAqS-El_g), er wurde über Internet verbreitet und in ganz Kolumbien wurde darüber diskutiert.
Die Kriminalisierung der Rechte von Bauen und Indigenen ihr Saatgut zu erhalten, zu tauschen und zu verkaufen, bedroht die biologische Vielfalt des Landes und das kulturelle Erbe.
Diese Situation entwickelt sich (oder besteht z.T. schon) in vielen Ländern. Auch in Chile und Argentinien kämpfen viele Menschen gegen die Kriminalisierung der Saatgut-Rechte von BäuerInnen und Indigenen. Eine wichtige Struktur, für die Kämpfe in Kolumbien und für den Austausch und gegenseitige Unterstützung der jeweiligen Proteste mit anderen Ländern, ist das weltweite bäuerliche Netzwerk “La Via Campesina”.
Die Politik der Kolumbianischen Regierung geht schon seit Jahren in diese Richtung, z.B. mit dem Beitritt zur WTO (Welthandelsorganisation). Aber die ernsthafte Umsetzung dieser Gesetze scheint erst mit dem Unterzeichnen der Freihandelsabkommen mit den USA und Europa stattzufinden.
Die kolumbianischen Bauern sind empört. Für sie besteht kein Zweifel daran, dass sie das Land ernähren können, auf eine Art und Weise, die gleichzeitig Jobs und eine würdige und gesunde Umwelt schafft.
Aber die Regierung hängt fest an einem ökonomischen Modell, das Konzern-Interessen folgt und keinen Platz für kleinteilige, “familiäre Landwirtschaft” hat.
Bei den Protesten gegen die Freihandelsabkommen in Kolumbien geht es letztlich um viele verschiedene Themen und Forderungen in Bezug auf verschiedene Arbeits- und Lebensbereiche. Aber die Frage, nach welchem Modell Landwirtschaft betrieben wird und wer ernährt wie die Bevölkerung, ist in Kolumbien in der Mitte der Protestbewegungen angekommen.
Aufgrund der starken Proteste hat die kolumbianische Regierung am 6. September angekündigt, das „Gesetz 970“ auszusetzen.
Allerdings nur für zwei Jahre und nur in Bezug auf einheimisches Saatgut, keine Importe.
Angeblich will die Regierung in dieser Zeit ein Gesetz entwerfen, „das Kleinbauern nicht trifft“.
Dies ist noch keine Änderung der Politik, sondern lediglich eine mündliche Ankündigung der
Regierung – die Menschen warten jetzt auf ein geschriebenes Dokument mit rechtlicher Wirkung,
und fordern weiterhin, das Gesetz 970 zu widerrufen.
(Dieser Text besteht zu großen Teilen aus der Übersetzung eines Artikels von Grain: http://www.grain.org/article/entries/4779-colombia-farmers-uprising-puts-the-spotlight-on-seeds)