Während in Ostafrika die Hungerkatastrophe anhält, begeht die Welt am 16.10. den World Food Day. Zu feiern gibt es wenig – dafür sehr unterschiedliche Vorstellungen, wie Hungerkrisen zukünftig zu verhindern sind. Die Schnittstelle sieht sich dabei als Teil einer Bewegung, die für Ernährungssouveränität eintritt. …
Wer dynamische Märkte toll findet, hatte in den letzten Jahren viel Freude bei der Betrachtung des Nahrungsmittelsektors: Enorme Preisschwankungen für Grundnahrungsmittel (bei Reis stiegen die Preise zwischen 2006 und 2008 um das Dreifache), der massive Einstieg von Finanzinvestoren in den Handel mit Grundnahrungsmittel (diesen Mai wurden allein an der Börse Chicago 360 Millionen Tonnen Weizen, die Hälfte der weltweiten Jahresproduktion, virtuell verschoben) oder die großflächigen Landkäufe (seit 2001 haben Großinvestoren weltweit Land in einem Umfang erworben, der der 5-fachen Fläche Deutschlands entspricht). Keine Frage, die Landwirtschaft ist mittlerweile ein fixer und attraktiver Teil der Weltwirtschaft. Die Kehrseite der Medaille: Allein im letzten Jahren sind nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation FAO 70 Millionen Menschen aufgrund des Anstiegs der Nahrungsmittelpreise in die absolute Armut gerutscht. In Afrika sind mittlerweile 43 von 53 Ländern auf Nahrungsmittelimporte angewiesen, die zudem aufgrund der gestiegenen Preise einen immer größeren Teil des ohnehin knappen Budgets dieser Staaten auffressen. Und, man kann es nicht oft genug betonen, Ostafrika leidet seit Monaten an einer Hungerkatastrophe unvorstellbaren Ausmaßes.
Rettung in Sicht?
Die FAO hat nun die Stabilisierung der Preise für Grundnahrungsmittel ganz oben auf ihre Agenda geschrieben. Denn unter deren Volatilität leiden sowohl Bäuerinnen/Bauern und Konsument_innen. Den einen fehlt Planungssicherheit, die anderen können sich Lebensmittel oft schier nicht mehr leisten. Während wir in Europa durchschnittlich nur mehr 15 Prozent unseres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben, steigt dieser Anteil in vielen Südländern auf 50 bis 80 Prozent – was in dieser Situation eine Verdreifachung der Reispreise bedeutet, kann man sich vorstellen. Food prises: From crisis to stability – unter dieses Motto stellt die FAO daher den heurigen World Food Day. Ein frommer Wunsch, an den die Teilorganisation der UNO, liest man deren aktuelle Studien, selbst nicht so recht glauben kann. Denn zum einen liegen die Ursachen für die derzeitigen Schwankungen tief. Zum anderen gilt: des einen Frust, des anderen Lust. Oder: Was die einen hungern lässt, ist für die anderen ein einträgliches Geschäft.
Phase 1: „Rückständige“ Landwirtschaft und ungleicher Tausch
Eine zentrale Ursache der derzeitigen Nahrungsmittelkrisen liegt darin, dass die Landwirtschaft insbesondere in den Südländern über Jahrzehnte lang stiefmütterlich behandelt wurde. Investitionen in Forschung und Entwicklung gab es kaum (oder wenn, dann nur für die Exportsektoren), dringend nötige Landreformen blieben ebenso aus wie andere Investitionen in den ländlichen Raum. Denn die Landwirtschaft wurde im entwicklungspolitischen, modernisierungstheoretischen Diskurs lange als lästiges Überbleibsel aus vorindustrieller Zeit angesehen, Kleinbäuerinnen und Kleinbauern als personifizierte Entwicklungshemmnisse, die es zu überwinden galt. Parallel dazu etablierte sich in der Nahrungsmittelproduktion eine globale Arbeitsteilung, die sehr zu ungunsten der Entwicklungsländer ausfiel. Während der Norden seine Landwirtschaft hoch subventionierte und Überschüsse in den Süden exportierte (oft in Form von Nahrungsmittelhilfen), spezialisierten sich viele Südländer auf den Export von Futtermitteln (wie Soja) und Luxusgüter wie Kaffee und Kakao. Gleichzeitig wurden viele dieser Länder von Nahrungsmittelimporten zur Versorgung der eigenen Bevölkerung abhängig – eine Folge aus fehlenden Investitionen, der politischen Marginalisierung der Kleinproduzent_innen und der übermächtigen Konkurrenz durch billige Importe, die die heimische Produktion zum Erliegen brachte
Phase 2: Das neue Interesse an der Landwirtschaft
Stellte lange Zeit also das fehlende Interesse an der Landwirtschaft (insbesondere in den Südländern) ein Hauptproblem dar, hat sich heute der Spieß quasi umgekehrt: Zu den alten Problemen summieren sich neue, die sich aus erwachten (Profit-)Interessen speisen. Ich kann mich noch gut an meine Verwunderung erinnern, als ich vor ein paar Jahren einen Finanzinvestor am Flughafen Wien mit seinem Engagement bei Landkäufen und Rohstoffproduktion werben sah. Mittlwerweile ist dieses Engagement zur Normalität geworden und lässt die Preise rotieren. Die meisten Investoren haben seit der Finanzkrise auch landwirtschaftliche Rohstoffe in ihrem Portfolio, worüber sogar der als Mister Dax bekannte Börsenhändler Dirk Müller den Kopf schüttelt. In einer Studie im Auftrag der Entwicklungsorganisation Misereor stellt er fest: „Es gibt keinen einzigen volkswirtschaftlichen oder gar humanitären Grund, warum es Finanzinvestoren erlaubt sein sollte in Grundnahrungsmittel zu investieren.“
Gleichzeitig haben Unternehmen aber auch Staaten massiv Land in Südländern aufgekauft, was unter dem Begriff land grabbing auch hierzulande traurige Bekanntheit erreicht hat. Die Gründe dafür sind vielfältig: Nahrungsmittelsicherheit für die Heimländer (z.B. China oder Saudi-Arabien), gewinnversprechende Produktion von Agrotreibstoffen, auch bekannt als Biosprit, Grundstückspekulationen undundund. Die Folgen für die betroffenen Länder sind demgegenüber meist die selben: Verlust von landwirtschaftlicher Fläche, Enteignung von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, Erhöhung der Abhängigkeit. Und Hunger. Viel Hunger
Wie weiter?
Darüber, wie dies geändert werden könnte,wird auf internationaler Ebene zur Zeit heftig debattiert. Paul Collier, Wirtschaftsprofessor in Oxford, hat in seinem vielbeachteten Ausatz The Politics of Hunger im US-amerikansichen Magazin Foreign Affairs argumentiert, dass Freihandel, das Ende der Unterstützung von „unwirtschaftlichen“ Kleinproduzent_innen, die Nutzung der Gentechnik und das Ende von Subventionspolitik der Schlüssel zum Erfolg wären. Über weite Strecken also ein „more of the same“. Ähnliches ist von der Weltbank in ihrem Bericht Agriculture for Development zu hören, mit dem kleinen Unterschied, dass diese die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern das Südens als ihr Klientel entdeckt hat und diese nun in verstärkt in nationale und internationale Marktstrukturen einbinden will. Man weiß nicht, ob man sich über dieses neue Interesse freuen soll, oder sich davor nicht eher fürchten muss.
In eine gänzlich anderer Richtung argumentiert der Weltagrarbericht, der pikanterweise übrigens u.a. auch von der Weltbank und Agrarmultis wie Monsante in Auftrag gegeben wurde, von dem sich diese mittlerweilw aber stark distanzieren. Denn dieser Bericht, an dem weltweit mehrere hunderte Expert_innen und Praktiker_innen (also Bäuerinnen und Bauern) mitgewirkt haben, fordert u.a. die Stärkung von kleinbäuerlichen Strukturen und Wissen sowie die Hinterfragung des – ohnehin fiktiven – Freihandelsdogmas. Zudem betont der Bericht, dass die Landwirtschaft neben der reinen Nahrungsmittelproduktion eine Reihe von anderen wichtigen Aufgaben erfüllt, die bei einer rein ökonomsichen Betrachtung verloren gehen, wie Umweltschutz, Transport kultureller Werte oder Arbeitsplatzsicherheit im ländlichen Raum.
Ernährungssouveränität!
Die Aussagen des Agrarberichts überschneiden sich in vielen Punkten mit dem Konzept der Ernährungssouveränität, dessen Kernpunkt die Forderung nach einer radikalen Demokratisierung des Ernährungssystems ist. Wie dies konkret aussehen könnte, darüber diskutierten in Krems im August 400 Aktivist_innen – darunter kritischen Konsument_innen, Bäuerinnen und Bauern, Vertreter_innen von NGOs – aus ganz Europa. Auch zwei Mitglieder der Schnittstelle waren dabei. In der gemeinsam entworfenen Deklaration fordern wir Teilnehmer_innen u.a. politische Unterstützung für nachhaltige, nicht der Profitmaximierung unterworfene Formen der Nahrungsmittelproduktion, für menschenwürdige Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft oder für alternative Vetriebswege, die nicht von einigen Konzernen kontrolliert werden, sondern Produzent_innen und Konsument_innen wieder näher zusammenbringen. Gleichzeititg tauschten wir uns in Krems über in den einzelnen Ländern bereits existierende Alternativen zum bestehenden Nahrungsmittelsystem aus. Dazu zählen Vertriebssysteme jenseits der Supermärkte wie Food Coops oder Community Supported Agriculture (CSA) ebenso wie Gemeinschaftsgärten, nichtkommerzielle Vermehrung und Tausch von Saatgut oder die Schnittstelle. Einig war man sich in Krems aber auch darüber, dass zur flächendeckenden Durchsetzung von Alternativen ein breiter gesellschaftlichen Wandel notwendig ist. Wenn man sich die zahlreichen Krisen des aktuellen Nahrungsmittelsystems so ansieht, sollte es der Versuch wert sein.
Übrigens: In kurzer Zeit könnt ihr über die Schnittstelle ein dünnes Heft beziehen, in dem die wichtigsten Grundsätze der Ernährungssouveränität anschaulich dargstellt sind.