Ein Buch blickt hinter die märchenhaften Kulissen des österreichischen Biomarktes
„Es war einmal ein riesiger gütiger Lebensmittelkonzern, der wollte nur das Beste für die Menschen und unsere Umwelt.“ So beginnt das Buch „Der grosse Bioschmäh: Wie uns die Lebensmittelkonzerne an der Nase herumführen“, das in der österreichischen Biobranche in den letzten Wochen für einige Furore gesorgt hat. Er ziehe die Bioszene in den Dreck, wird dem Autor Clemens Arvay von Seiten der Lebensmittelkonzerne, aber auch des österreichischen Biodachverbandes vorgeworfen. Dabei zeigt der gelernte Agrarbiologe Arvay nur auf, wie sehr sich die heile Welt des Biomarketings von den oft haarsträubenden Produktionsbedingungen unterscheiden. Eine Harte Kost für das Biovorzeigeland Österreich.
Biomusterland Österreich?
Knapp 20% der österreichischen Bäuerinnen und Bauern produzieren biologisch – so viel wie in keinem anderen Land der EU (mit der Ausnahme Luxemburgs). Doch auch in einer anderen Biokategorie ist das Land Spitze: 90% der Biolebensmittel werden in dem Alpenland über drei Supermarktketten vertrieben: Rewe, der in Österreich unter dem Namen Billa auftritt, Spar und Aldi (Hofer). In Fachkreisen wird die Entwicklung hin zur Vermarktung über Supermärkte und der damit einhergehenden Annäherung der Produktion und des Vertriebes an den konventionellen Agrarsektor als „Konventionalisierung“ bezeichnet. Mit dem Buch „Der große Bioschmäh“ ist diese Entwicklung nun auch ins Blickfeld vieler österreichischen Konsument_innen geraten.
Das Vorgehen des Autors ist dabei so simpel wie entlarvend. Er bringt immer wieder Beispiele aus der heiligen Welt des Biomarketings der „Großen Drei“ und konfrontiert diese dann mit seinen Rechercheergebnissen von unterschiedlichen Produktionsstandorten der Bioindustrie.
Wie ist es zum Beispiel um die Biohühner bestellt, die in der Werbung glücklich über den Hof flattern? In erschreckender Weise zeigt Arvay auf, wie weit die Industrialisierung der Tierzucht hier schon vorangeschritten ist, wie auch in einem Video zum Buch zu sehen is. Drei Hybridhuhnsorten bestimmen den Markt. Diese stapfen meist nicht durch saftiges Gras, sondern sind zu Tausenden auf engstem Raum zusammengepfercht. Hühner für die Fleischproduktion werden auf Stangen, die in den Ställen befestigt sind, automatisch gewogen, wobei diese Informationen direkt in die Konzernzentralen der Geflügelunternehmen weitergeleitet werden, um bei Erreichen des Idealgewichts nach 8-9 Wochen am Fließband dem Tod zugeführt zu werden. Bei der Eiproduktion geht es nicht besser zu: Bei der der Aufzucht von Biolegehühnern werden alle männlichen Küken sofort nach der Geburt vergast und zu Brei weiterverarbeitett.
Die neue Abhängigkeit
Neben diesen und vielen weiteren tierverachtenden Produktionsmethoden zeigt Clemens Arvay aber noch einen weiteren negativen Effekt der Konventionalisierung auf: Die Biobäurinnen und Biobauern werden zu reinen Rohstoffproduzenten für die Lebensmittelindustrie degradiert. Die Inputs wie Futter oder Dünger bekommen sie von der Agrarmultis, die produzierte Ware müssen sie an große Einkäufer abgeben, die am Markt oft eine quasi-Monopolstellung innehaben und die Bäuerinnen und Bauern oft durch Verträge auf längere Zeit an sich binden. In der Hühnerproduktion geht diese Abhängigkeit so weit, dass sich viele Bioproduzent_innen (von Bäuerinnen und Bauern kann hier wohl kaum mehr gesprochen werden) den Hühnerstall von großen Geflügelunternehmen bauen lassen, ebenso wie sie die Software zur Steuerung der Produktion, die Küken und das Futter von ihm beziehen. Nach der Schlachtung geht die Ware dann an das Geflügelunternehmen zurück.
Die Folge dieser starken Abhängigkeit: obwohl sich die Ställe und Produktionsmengen immer weiter vergrößern, können die Biobäuerinnen und Biobauern immer schlechter davon leben. Zudem sind sie immer mehr auf die Ausbeutung von meist ausländischen Hilfskräften angewiesen, an die der Druck der Lebensmittelindustrie mit voller Wucht weitergegeben wird. So zitiert der Autor einen ungarischen Erntehelfer: „Die Anstrengung ist nicht das größte Problem. Das Schlimmste ist die Menge. Wir müssen immer noch mehr schaffen, noch schneller sein und trotzdem gute Arbeit leisten.“
S(ch)ein
All diese Schattenseiten des Biobooms kommen in der heilen Welt des Biomarketings nicht vor. Stattdessen werden immer neue Indize kreiert, die die positive ökologische Bilanz der Produkte belegen soll. Wie Arvay zeigt, basieren diese Indize jedoch meist auf sehr fragwürdigen, um nicht zu sagen irreführenden Schätzungen oder Messmethoden. Und auch die direkte Bürgschaft von Biobäuerinnen und Biobauern, die auf immer mehr österreichischen Bioprodukten zu finden sind, entlarvt Arvay als „Schmäh“. Als er den Bauern Joe aufsucht, der auf Bioprodukten der Supermarktkette Spar mit seiner Unterschrift dafür bürgt, dass die Produkte im Einklang mit der Natur produziert werden, findet er einen pensionierten Nebenerwerbslandwirt, der von seiner Vereinnahmung durch den Konzern alles andere als begeistert erscheint. Wie überhaupt viele Biobäuerinnen und Biobauern wenig mit dem Bild anfangen können, das die Werbung von ihnen zeichnet.
Während die Supermarktketten und die Politik uns glauben machen möchten, dass wir mit unserem Einkauf an der Supermarktkasse über die Zukunft unserer Lebensmittelsystems – konventionell oder bio – entscheiden, zieht Clemens Arvay in seinem gut recherchierten und spannend zu lesenden Buch zu einem anderen Schluss: „Durch den Kauf von Bio-Produkten im Supermarkt oder beim Discounter sichern wir Strukturen ab, die im Sinne der Nachhaltigkeit eigentlich geändert werden sollten – Strukturen, die mit der ursprünglichen Idee des Ökolandbaus nichts zu tun haben.“ Arvay plädiert stattdessen für möglichst direkte Beziehungen zwischen Produzent_innen und Konsument_innen und greift am Ende des Buches auch noch kurz das Konzept der Ernährungssouveränität auf, das auf dem Grundgedanken basiert, dass die Menschen die Gestaltung des Lebensmittelsystems wieder selbst in die Hand nehmen. Denn, so zitiert Arvay in seinem Buch einen US-amerikanischen Professor, „mit der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen verhält es sich in etwa so, wie mit Zuckerwatte: Je kräftiger man rein beißt,desto schneller löst sie sich in nichts auf.“
Homepage von Clemens Arvay mit Hinweisen zum Buch.