Ein Interview mit Kathrin Hartmann, auf oÖ-nachrichten.
Autorin u.a. von: „Ende der Märchenstunde – Wie die Industrie die Lohas und Lifestyle-Ökos vereinnahmt“. Über „Lohas“, Mikrokredite, Banken, „neue Armut und Selbstermächtigung.
OÖN: Kann verantwortungsbewusstes Einkaufen in der sogenannten Konsumentendemokratie die Welt verbessern?
Nein. Schon der Begriff der Konsumentendemokratie ist falsch. Denn Demokratie heißt: Jeder Bürger hat eine Stimme. Einkaufen hängt aber vom Geldbeutel ab. Außerdem sind gesellschaftliche Änderungen noch nie dadurch zustande gekommen, dass Leute im Supermarkt zum scheinbar richtigen Produkt gegriffen haben. Die sind immer erkämpft worden.
Dennoch gab es einen Riesenrummel um die „Lohas“ (Lifestyle of Health and Sustainability), also um Leute, die durch ihren Konsumstil Gesundheit und Nachhaltigkeit fördern wollen …
Da ging es um nichts anderes als ums Konsumieren. Das wurde als die neue, frische Ökobewegung verkauft, hatte aber mit der alten Öko-Bewegung nichts zu tun. Und so kann man im Biosupermarkt im Jänner eingeflogene Erdbeeren mit scheinbar gutem Gewissen kaufen. Im Grunde ist das Gegenteil erreicht worden. Bio passt sich immer mehr dem Mainstream und dem Massenmarkt an. Die Landwirtschaft ändert sich wenig – die Politik gar nicht.
Deshalb sollte man nicht aufgeben, bewusst einzukaufen, oder?
Nein. Aber es soll einen nicht beruhigen. Man sollte nicht zu sich sagen: Damit habe ich meinen Beitrag geleistet. Wir können nur wirklich etwas ändern, wenn wir aufhören so zu tun, als wäre der Einzelne für die Weltrettung zuständig. Das ist Unfug. Wir sollen nicht dauernd von der Macht des Konsumenten reden, sondern wieder lernen, uns einander als Gemeinschaft zu vertrauen. Der Konsument hat keine Macht. Einkaufen macht niemandem Angst – es ist das, was Wirtschaft und Politik von uns wollen.
Ihr neues Buch handelt von der „neuen Armut in der Konsumgesellschaft“. Wie definieren Sie die?
Die Armut, die ich damit in Europa meine, ist eine ökonomische, aber auch ein Ausschluss aus der Gesellschaft. Wenn man sich anschaut, wie die rapide wachsende Kluft zwischen Arm und Reich von den Profiteuren gerechtfertigt wird, reden die immer einer Leistungsideologie das Wort: Wer arm ist, arbeitslos ist, leistet nichts und liegt der Gesellschaft auf der Tasche.
Womit hat Armut dann zu tun?
Zum einen mit der Wachstumsideologie: Es wird umso mehr Geld gemacht, je weniger man für Arbeit bezahlen muss. Zum anderen mit der Übermacht der – männlich dominierten – Wirtschaftselite, die an ihren etablierten Vorrechten festhält. Die rechtfertigen ihren Wohlstand mit dem Leistungsgedanken. Aber genau anders herum wird ein Schuh daraus. Tatsächlich sind die, die man als Schmarotzer diskriminiert, die wahren Leistungsträger. Nur indem man sie aus der Arbeit ausschließt und sie als Drohkulisse benutzt, kann man generell Löhne drücken.
Wie wäre der neuen Armut beizukommen?
Das ist relativ einfach. Wir haben eine grotesk ungerechte Verteilung von unten nach oben. In Deutschland besitzen die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung zwei Drittel des gesamten Vermögens. Das würde nach der Leistungslogik bedeuten, dass nur diese wenigen etwas arbeiten und die restlichen 90 Prozent selber schuld und faul sind. Das kann doch nicht stimmen! Also wäre einer der ersten Schritte eine höhere Besteuerung der Reichen und der Unternehmen sowie der Wegfall von Subventionen für Arbeitslose. Die Allgemeinheit zahlt ja mit ihren Steuern zum Beispiel dafür, dass einem großen Versandhändler per „Wiedereingliederungsmaßnahme“ Arbeitskräfte kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Wenn Unternehmen nicht überleben könnten, wenn sie ihre Mitarbeiter ordentlich bezahlen, dann haben sie etwas falsch gemacht. Dann sollen sie dicht machen. Warum soll ich denen den Profit zahlen?
Wird dann nicht das Kapital flüchten? Es heißt ja, es wäre scheu wie ein Reh.
Wir müssen über das Trockenlegen von Steueroasen sprechen. Eine globale Aufgabe. Da gehen viele Milliarden flöten. Wir müssen darüber sprechen, wie man solche Verbrechen wie Nahrungsmittelspekulation verbietet. Darüber, welche anderen Formen von Entschädigungen es für die Menschen geben muss, wenn es zu wenig Arbeit gibt. Da muss über Übergangsideen gesprochen werden, wie dem bedingungslosen Grundeinkommen, das den Schmarotzervorwurf von den Leuten nimmt. Das wird aber nicht passieren, wenn wir das nicht vehement einfordern.
Was fragen Sie sich, angesichts eines Chefs einer internationalen Bank, der das Dreihundertfache eines Angestelltengehalts kassiert?
Ob der auch dreihundert Mal so viel arbeitet? Andererseits wird von den Politikern, die den ganzen Bankenwahnsinn legalisiert haben, gerne der gierige Banker vorgeschoben. Wobei mit dem Geld für die Bankenrettung eine ganze Menge Vermögen von Privatleuten gerettet wurde. Wahrscheinlich wären wir sehr viel besser durch die Krise gekommen, wenn man diesen Leuten ein Sonderopfer abverlangt hätte. Darüber ist aber nie diskutiert worden. Dafür konnten die Reichsten ihr Vermögen nach der Krise um 20 Prozent steigern.
Wie sehen Sie die Piratenpartei in Deutschland und die Linke?
Der Erfolg der Piraten zeigt, dass die Leute die Schnauze voll haben von den etablierten Parteien. Die Linken sind die Einzigen, die so etwas wie eine Alternative zu den anderen anbieten. Aber da haben alle irgendwie Angst, dass sie morgen wieder im Stechschritt marschieren müssten, was lächerlich ist. Den letzten Stechschritt, den ich gesehen habe, war bei der Verabschiedung unseres lustigen Bundespräsidenten. Es ist nicht sofort Kommunismus, wenn man die Reichen ordentlich besteuert.
Wer soll das durchsetzen?
Die Leute haben ein bisschen wiederentdeckt, dass es doch etwas bringt, wenn man auf die Straße geht, siehe die Anti-Atom-Proteste oder Stuttgart 21, Occupy …
Allein, es nutzt oft nichts …
Dennoch: Man entdeckt, dass man alleine nichts machen kann, aber zusammen doch eine Stimme hat. So kann man die Politik zumindest vor sich hertreiben. Wir sind durch die europaweite neoliberale Politik schon so mürbe gemacht worden und haben uns entsolidarisiert, dass wir das Gemeinsame kaum mehr denken. Es wurschtelt sich jeder irgendwie durch. Doch mit der Haltung kommt man nicht weit.
Sie kritisieren weiters das System der Mikrokredite in Entwicklungsländern, wofür der bangladeschische Wirtschaftswissenschafter Muhammad Yunus 2006 immerhin den Friedensnobelpreis bekam. Warum?
Ich habe nie geglaubt, dass man sich in einem bettelarmen Land mit Schulden aus der Armut befreien kann. Zudem liegen die Zinsen auf Mikrokredite im weltweiten Durchschnitt bei 38 Prozent. Dahinter steckt die neoliberale Idee: Jeder ist ein Unternehmer, jeder kann sich selbst ermächtigen. Das stimmt aber nicht in einem Land wie Bangladesh, wo es keine Sicherheit gibt, kein sauberes Wasser, keine Infrastruktur, keine anständige Gesundheitsversorgung und die Leute Hunger leiden.
Sie recherchierten einen Monat lang in Bangladesh, wie lauten Ihre Erkenntnisse?
Mehr als die Hälfte der Frauen, die Mikrokredite genommen haben, stehen bei bis zu fünf Banken oder privaten Geldverleihern in der Kreide.
Also System Loch auf, Loch zu?
Ja, so bleibt das Geld auch immer im Umlauf, aber die Frauen stecken in einer Schuldenfalle, aus der sie nicht mehr herauskommen. Die Frauen sind in sogenannten Selbsthilfegruppen organisiert, die nur deshalb bestehen, um auf sie Druck auszuüben, das Geld einmal die Woche zurückzubezahlen. Druck heißt: Da kommen Bankbeamte ins Haus und bleiben die ganze Nacht, nehmen ihnen die Kuh oder die Ziege weg, den Hausrat, den Hochzeitsschmuck. Die Schuldner werden gezwungen, ihr Land zu verkaufen. Das ist nichts anderes als Enteignung und Unterdrückung.
Warum nehmen die Leute dann Kredite auf?
Teilweise sind sie dazu gezwungen, weil sie die Kredite für Nahrung oder Krankheitsbehandlung. brauchen. Es gibt schon die paar, die damit Erfolg haben, aber das sind Leute, die schon ein Einkommen haben und in einen Kiosk oder eine Nähstube investieren können. Das ist allerdings der kleinste Teil. Der große Rest sind bittere Geschichten. Ich habe viele Menschen in den Slums von Dhaka getroffen, die vom Land in die Stadt geflohen sind, weil sie nichts mehr hatten. Jetzt sind sie billigste Arbeitskräfte für die Fabriken.
Wem nützt das System?
Die großen Banken – Weltbank, Citibank und Deutsche Bank etwa – sind alle mit in dem weltweiten Geschäft und verdienen daran. Mikrokredite werden als Alternative zur klassischen, teuren Entwicklungshilfe gefeiert. Es kommt Geld in Umlauf, es wird Kaufkraft gebildet, wovon auch wieder nur die Konzerne profitieren, die nach und nach ins Land kommen. Hingegen hat die Kinderarbeit zugenommen. Frauenermächtigung ist eine Legende. Frauen sind schwach und erpressbar, in der Regel verballern Männer das Geld.
Warum greift die Politik nicht regulierend ein?
In Europa stammen immer mehr Politiker aus der Oberschicht. Sie haben vollkommen die Bodenhaftung verloren und machen nur noch Politik für ihresgleichen. Auch in den Medien gibt es diese Elitisierung. In den Journalistenschulen Deutschlands sind keine Arbeiterkinder mehr.
Biografie
Kathrin Hartmann (39) arbeitete journalistisch für Frankfurter Rundschau, taz, Titanic und Neon. Bücher: „Ende der Märchenstunde – Wie die Industrie die Lohas und Lifestyle-Ökos vereinnahmt“ und „Wir müssen leider draußen bleiben: Die neue Armut in der Konsumgesellschaft“, beide im Blessing Verlag erschienen