Hauptstadt der Bio-Läden: Berliner Bio-Ware ist oft unökologisch

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Bio-Supermärkte schießen in Berlin wie Pilze aus dem Boden. Nur aus der Region kommt veredelte Bio-Ware jenseits von Milch und Brot noch selten. Weite Lieferwege sind aber nicht wirklich öko.

Artikel aus dem Nordkurier vom 3.3.2012

Bio und Berlin – das scheint ein unschlagbares Erfolgsrezept zu sein. In den vergangenen Jahren haben 53 Bio-Supermärkte in der Hauptstadt eröffnet. 2012 sollen weitere zehn dazukommen, sagt Michael Wimmer, Geschäftsführer der Fördergemeinschaft ökologischer Landbau Berlin-Brandenburg (FÖL). Er geht davon aus, dass Berlin sogar noch mehr Bio verträgt. Noch gibt es jedoch ein spürbares Ost-West-Gefälle. Jenseits der Szenebezirke wagt sich kaum ein großer Anbieter in die Ostberliner Kieze.

Auch beim korrekten „ökologischen Fußabdruck“ hapert es in der Bio-Hauptstadt. Nur 15 bis 20 Prozent der Bio-Lebensmittel kommen bisher aus dem nahen Brandenburg, der Rest wird über längere Wege aus ganz Deutschland und auch aus dem Ausland importiert. Der Grund: In der Region fehlt es an Veredelungsbetrieben. Nur bei Getreide und Milch funktionieren die kurzen Wege inzwischen gut, Bio-Großbäckereien und Bio-Molkereien haben sich etabliert.

Dass der Kundenstamm für Bio-Lebensmittel stetig wächst, hat viele Ursachen. „Lebensmittelskandale haben Auswirkungen auf das Verhalten der Verbraucher“, heißt es beim Bundesverband Naturkost, Naturwaren, Herstellung und Handel (BNN). Nach jedem Skandal gingen die Verkaufzahlen für Bioprodukte in die Höhe. Doch der Markt wachse auch ohne Skandale. Bio-Lebensmittel sind heute kein Nischenprodukt mehr, sie werden in großem Stil produziert. Das senkt die Preise. Die Fördergemeinschaft ökologischer Landbau schätzt, dass mehr als 2000 Arbeitsplätze an der Berliner Bio-Lebensmittelbranche hängen – und ein Umsatz von über 220 Millionen Euro im Jahr.

Bio ist urbaner Zeitgeist
„Bio ist Berlin, das ist gewachsener urbaner Zeitgeist“ sagt Branchenkenner Wimmer. „Das ist vor rund zehn Jahren aus der ideologischen Nische gesprungen.“ Die Branche habe sich professionalisiert, vor allem im Marketing. Das Image einer Graswurzelbewegung, die sich fragte, ob ein Kunde „bio-würdig“ sei, habe sich verloren. „Bio ist heute auch etwas für Gelegenheitskäufer. Es gibt keine Apothekenpreise mehr“, resümiert Wimmer. Bio sei aber vorwiegend immer noch eine West-Berliner Pflanze.

Die Einstellungen im Osten seien andere, die Kaufkraft auch. Wimmer kennt keine andere deutsche Stadt, in der das Netz aus Naturkostläden mit Namen wie „Kraut und Rüben“ oder „Ährensache“, Reformhäusern, Bio-Supermärkten, Bio-Wochenmärkten, Bio-Restaurants und Bio-Catering so dicht geknüpft ist wie in Berlin. Auch Supermarktketten wie „Bio Company“, „LPG“ oder „viv“ seien Ur-Westberliner Gründungen. Bisher liegen die meisten Berliner Biosupermarkt-Standorte in Szene-Kiezen wie Prenzlauer Berg, Kreuzberg und Mitte. Doch auch Neukölln hat schon den ersten.

Noch keine Konkurrenz unter Bio-Supermärkten
Wimmer fürchtet noch nicht, dass sich die großen Bio-Supermärkte Konkurrenz machen. Heute müssten sich eher die kleineren Bio-Läden neu aufstellen und ihren Kunden mehr bieten: Am besten charismatische Inhaber oder einen Mittagsimbiss. Kreatives Berliner Start-Up-Potenzial in Sachen Bio-Lebensmittel vermisst die Fördergemeinschaft noch. Eine große Ausnahme sei das Berliner Eis „Glück am Stil“, berichtet Wimmer. Es wird aus Brandenburger Früchten ohne Zucker und Zusatzstoffe produziert und ist laktosefrei. Die Verarbeitung übernimmt die Lobetaler Bio-Molkerei im nahen Barnim, eine Werkstätte für Behinderte. Auch die Verpackung ist ökologisch korrekt.

Naturkost-Großhändler rannten dem Hersteller „Mammas & Pappas“ schon vor einer Auszeichnung auf der größten Bio-Lebensmittelmesse Mitte Februar die Bude ein. „Solch ein regionales Potenzial müsste viel mehr wachgeküsst werden“, urteilt Wimmer. Denn die großen Bio-Veredlungs-Firmen säßen bisher traditionell in Westdeutschland.

Als „hochspannend“ wertet die Fördergemeinschaft auch das Thema Bio und Restaurants. „Da gibt es sowohl in der gehobenen Gastronomie als auch in der Szenegastronomie eine Erwartungshaltung beim Publikum“, sagt Wimmer. Allerdings verlange die Organisation eines Bio-Restaurants mehr Aufwand und Herzblut als eine konventionelle Neueröffnung. Nicht alle Bio-Lebensmittel seien passgenau vorgeschnipselt, nicht alles könne immer geliefert werden. Die Fördergemeinschaft kennt bisher nur eine Handvoll Restaurants und Imbisse in der Hauptstadt, die bio-zertifiziert und auch kontrolliert sind. „Nach oben ist da viel Luft“, sagt Wimmer.

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