Gestern, am 14. Juni 1966, wurden die ältesten der derzeit gültigen EU-Richtlinien für den Handel mit Saatgut erlassen, zum 50 Jahrestag dessen hat die Saatgutkampagne einen Kommentar in Ihrem Newsletter veröffentlich, der ist lesenswert.
Mittlerweile beschränken in den 28 Staaten der EU zwölf gesetzliche Richtlinien den freien Verkehr des Saatgutes. Sie regeln, bei welchen Nutzpflanzenarten
nur Saatgut von klar definierte Sorten gehandelt werden darf. Diese Sorten müssen dazu vorher angemeldet, geprüft und zugelassen werden.
Diese Sorten-Zulassungspflicht bevormundet Bäuerinnen und Bauern, Gärtnerinnen und Gärtnern, denn sie verhindert die freie Wahl des Saatgutes durch die Anwender. Das schränkt die biologische Vielfalt an landwirtschaftlichen Pflanzen ein und lässt die Vielfalt auf den Äckern,
in den Gärten, Obstplantagen und Weinbergen schwinden.
Neu gezüchtete Sorten, die zum Handel angemeldet werden, haben hohe Hürden zu überwinden: die einzelnen Pflanzen müssen extrem homogen sein und diese Homogenität über Generationen bewahren. Wegen der hohen Homogenität und Stabilität können sich die Sorten kaum an Standortbedingungen wie Boden, Klima und Tageslänge anpassen.
Das Handelsverbot für Saatgut von nicht zugelassenen Sorten muss aufgehoben werden. Die gesetzliche Einengung der Sortenvielfalt in der EU und weltweit muss beendet werden. Genausowenig dürfen Staaten in Lateinamerika oder Afrika dazu gedrängt werden, ähnliche Saatgut-Gesetzgebungen neu einzuführen.
Wie wirkt die EU-Saatgutgesetzgebung?
Die Einschränkung und Verminderung der biologischen Vielfalt durch die bestehenden zwölf EU-Richtlinien und ihre Umsetzung in den 28 Mitgliedsstaaten der EU geschieht auf mehrfache Weise:
1.) Die Zulassungskriterien für neu gezüchtete Sorten von landwirtschaftlichen Nutzpflanzenarten: Unterscheidbarkeit, Homogenität und Unveränderlichkeit (englisch: Distinctness, Unifomity, Stability, daher abgekürzt ?DUS?-Kriterien) entstammen dem Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes für Neuzüchtungen (Sortenschutz). Sie begründen lediglich eine Sortenechtheit, aber an sich keine besonderes Qualität dieser neuen Sorten. Als Zulassungskriterien für den Handel mit Saatgut und Pflanzgut engen jedoch das Spektrum zulässiger Sorten im Wesentlichen auf die
Neuzüchtungen der Saatgutfirmen ein.
2.) Wegen der hohen Homogenität und Stabilität können sich neue DUS-Sorten kaum an regionale Bedingungen wie Boden, Klima und Tageslänge anpassen. Ihre allmähliche Weiterentwicklung ist nahezu unmöglich.
3.) Viele Neuzüchtungen der Saatgut-Industrie benötigen einen erheblichen Einsatz von Pestiziden und Chemie-Dünger. Dies verringert die Bodenfruchtbarkeit und schädigt andere Pflanzen und Kleinstlebewesen auf dem Acker, es schadet insgesamt die Biodiversität.
4.) Sogar traditionelle Sorten müssen angemeldet werden, wenn Sortenerhalter Saatgut davon erzeugen und verkaufen wollen. Auch die vereinfachte Anmeldung traditioneller Sorten ist noch so kostspielig, dass sie wegen des geringen Umsatzes nur selten lohnt. Ein Handel mit Saatgut
traditioneller Sorten ist jedoch ohne Sortenzulassung genauso staatlich untersagt wie der Handel mit Saatgut von neugezüchteten Sorten, wenn diese zu Arten gehören, die von der Saatgutgesetzgebung erfasst werden.
5.) Mitunter argumentieren die Befürworter der Saatgutgesetzgebung mit der Vielzahl angemeldeter Sorten. Doch diese Vielzahl an Sortenanmeldungen repräsentiert nicht eine breite biologische Vielfalt. Die Sorten sind einander sehr ähnlich und vorwiegend auf die besonderen Abnahmebedingungen der Lebensmittelindustrie abgestimmt: Verarbeitungsfähigkeit, Transportfähigkeit, Lagerfähigkeit, Optik. Beispielhaft: das schmale Spektrum von Apfelsorten im Supermarkt.
Immerhin: Erfolgreicher Widerstand gegen die Verschärfung des EU-Saatgutrechts
Zwar konnten wir zusammen mit vielen anderen Organisationen in den Jahren 2013/14 eine weitere Verschärfung der EU-Gesetzgebung für den Saatgutmarkt verhindern. Dabei unterzeichneten nahezu 150.000 Menschen unsere Petition ?Saatgutvielfalt in Gefahr (http://kurzlink.de/saatgutverordnung), und in großen, auch europaweiten Bündnissen wurden die Erklärungen ?Konzernmacht über Saatgut ? Nein danke!? (http://www.eu-saatgutrechtsreform.de) und ?Protect our natural heritage, biodiversity and resulting food security!? (http://www.eu-seedlaw.net) formuliert. Doch schon die bestehende
Gesetzgebung ist ein enormes Hindernis für die landwirtschaftliche biologische Vielfalt.
Auch die von 2008 – 2010 erlassenen EU-Richtlinien für Erhaltungssorten haben keine relevante Besserung in Sachen Sortenvielfalt gebracht. Sogar traditionelle Sorten müssen angemeldet werden, wenn Sortenerhalter Saatgut davon erzeugen und verkaufen wollen. Selbst die vereinfachte Anmeldung einer Erhaltungssorte ist noch so kostspielig, dass sie wegen des allgemein geringen Umsatzes nur selten lohnt. Eine Evaluation dieser Richtlinien hat die EU-Kommission bis heute nicht durchgeführt, obwohl sie eigentlich bis 2013 hätte geschehen müssen.
Die gegenwärtige EU-Saatgutgesetzgebung widerspricht zudem etlichen Grundprinzipien der EU. Zu diesem Schluss kam die deutsche Generalanwältin Juliane Kokott am Europäischen Gerichtshof in ihrem Plädoyer im Kokopelli-Fall am 19. Januar 2012: ?Ich schlage dem Gerichtshof daher vor,
wie folgt zu entscheiden: 1. Das in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2002/55/EG niedergelegte Verbot, Saatgut von Sorten zu verkaufen, die nicht nachweislich unterscheidbar, beständig und hinreichend homogen sind sowie gegebenenfalls einen befriedigenden landeskulturellen Wert besitzen,
ist wegen Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, der unternehmerischen Freiheit gemäß Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, der Freiheit des Warenverkehrs nach Art. 34 AEUV sowie des Grundsatzes der Gleichbehandlung nach Art. 20 der Charta der
Grundrechte ungültig.? Entgegen diesem Plädoyer hatte das EuGH im Juli 2012 auf Gültigkeit erkannt, unter Hinweis auf die Möglichkeiten der unseres Erachtens untauglichen Erhaltungsrichtlinien.
Im Sinne der Saatgut-Souveränität und der landwirtschaftlichen biologischen Vielfalt müssen die Anbauerinnen und Anbauer selber entscheiden dürfen, von welchen Sorten sie Saatgut oder Pflanzgut
verwenden ? frei von staatlicher Bevormundung und Gängelung!
Meint Eure
Kampagne für Saatgut-Souveränität
aus dem Saatgutkampagnen-Newsletter Nr. 30, 14. Juni 2016