Beipackzettel Juni 2013

Hallo Freund_innen der Agrarbiodiversität, liebe mit dem Gaumen experimentierfreudige Abonoment_innen,

Ihr haltet die Juni-Kiste in euren Händen, mit einer leckerern Auswahl Essen, aber auch Nahrung für den Kopf.

Aber erstmal: Die Lebensmittel in diesem Monat

> ein Bund gelbe Radieschen aus Börnecke
> Schafsmilchlikör aus dem Wendland
> Rhababer Marmelade aus der Kommune
> geräucherter Tofu mit Hanfsamen und Petersilie vom Berliner Kollektiv Soy-Rebbels
> Apfelsaft Sortenrein oder ein Mischsaft aus der Mosterei Ketzür
> Buchweizen-Spaghetti produziert in der Kooperative Iris

Die jeweilige Zusammensetzung variiert
(entsprechend individueller Einschränkungen)

> 1x Wildkräuterpesto (Nachlieferung vom letzten Monat *)

Letzten Monat gab es in der Presse einen kurzen Wirbel um ‚die Vereinheitlichung der EU-Saatgutverordnung‘, – incl. einiger verwirrender Artikel und einer auf der Welle mitschwimmenden Unterschriftenkampagne von Campact!
Unser ganz praktischer Beitrag zum Saatgut-Thema sind in diesen Monat die gelben Radieschen in der Kiste. Dabei handelt es sich um eine „alte Landsorte mit runder, gelber Wurzel und typischem, scharfem Geschmack“.
Außerdem empfehlen wir die Lektüre zweier Artikel der Saatgutkampagne: Der eine fährt „Mit dem Ferrari ins Gemüsebeet“, und versucht damit, etwas Licht in den Dschungel des europäischen Saatgutrechts zu bringen. Der zweite erklärt euch, warum eine Nische noch keinen Sommer macht, und wo die Fallstricke der gerade diskutierten Verordnung liegen.
Die Unterschriftenkampagne „Saatgutvielfalt in Gefahr – gegen die EU-Saatgutverordnung zum Nutzen der Saatgutindustrie“ läuft auch noch – also unterschreibt bitte, wenn ihr es noch nicht getan habt – und sagt es weiter. Ihr findet sie, zusammen mit aktuellen Infos unter: www.saatgutkampagne.org

Anküpfend an den Beipackzettel vom Februar gibt es diesem Monat in einigen Kisten Schafsmilchlikör. Denn es ist wieder Saison für Schafsmilchprodukte aus saisonaler Haltung. Der Produzent Gisi aus Diahren erzählt: „…. wenn im Januar mangels Milchproduktion der Nachschub an Likör aufgebraucht ist, dann muss der Kunde warten. Genauso verhält es sich mit dem Fleisch. Es gibt Bestelllisten auf dem Milchschafhof Diahren – und viele überraschte Kunden, die das Warten in der Überflussgesellschaft erst wieder lernen müssen.“
Es fehlen nicht die guten Ratschläge von wohlmeinenden Besuchern: das Geschäft könnte noch besser gehen, man könnte mehr verkaufen, eine clevere Vermarktung müsste her, dann würde die Kasse klingeln.
Ja, das alles könnte man machen, nickt dann Giselher Kühn, aber wozu? „Ich bin nicht reich, aber ich fühle mich reich“, argumentiert er. ‚
Die Rhabarber-Marmelade wurde quasi exklusiv für das Abokiste produziert. Der Rhabarbar stammt vom Ulenkrug, einem Selbstversorgerhof in Mecklenburg Vorpommern. Dort gab es mal wieder viel mehr Rhabarber, als sie selbst verarbeiten und vor allem essen können. Kurz entschlossen kochte eine Freundin, die dort gerade zu Besuch war, Marmelade und gab sie Schnittstelle für die Bio-Div-Kiste.
Ursprünglich stammt Rhabarber aus der Himalajaregion. Im 16. Jahrhundert wurde er in Russland angebaut und gelangte im 18. Jahrhundert auch in andere Teile Europas. Wie bei vielen anderen Sorten ist auch bei Rhabarbar ein Rückgang der Sortenvielfalt festzustellen, die parallel zum Rückgang der Anbaufläche verläuft: 1937 betrug diese für Rhabarber in Deutschland 1700 Hektar, 1993 waren es keine 400 Hektar mehr. Obwohl er in der Küche wie Obst behandelt und hauptsächlich als Kompott und für Kuchen verwendet wird , zählt er zum Gemüse.

Der Tofu kommt von einem Berliner Kollektiv: den SOY-Rebells. Sie verarbeiten gentechnikfreie Bio-Sojabohnen aus Süddeutschland und sind mit viel Muse und Genuss dabei, verschiedene Sorten Räuchertofu zu kreieren und dabei Zutaten zu verwenden, die auch in unseren Breitengraden wachsen.

* Zwei kleine Nachträge zur letzten Kiste:
Es gab im Mai leider Probleme mit der Post, weswegen das Pesto, das in die Mai-Kiste sollte, zu spät angekommen ist. Das bekommt ihr deshalb jetzt nachgeliefert.
Und außerdem hatten wir letztes mal eine etwas ungenaue Formulierung bezüglich der Leberwurst. Wir haben geschrieben „In der Kiste ‚ohne Einschränkungen‘ gibt es diesmal ein Glas gekochte Leberwurst, von Bio im Wendland. …“ Es hätte heißen müssen „in einigen Kisten“, da wir leider nicht genug für alle da hatten. Aber da es mehrere Anfragen deswegen gab, („… wir hatten doch auch eine Kiste ohne Einschrängung und hatten uns schon so auf die Leberwurst gefreut…“) nehmen wir das als Anregung, und werden versuchen das Thema Diversität bei Nutztieren mehr im Blick zu haben und es eure Gaumen schmecken zu lassen.

Nun verabschieden wir uns in die angekündigte Sommer-Pause, die nächste Kiste mit bio-diversen Leckereien gibt es am 7./8. August.

Genießt die Sonne, das Leben, auf dem Balkon/Strand/im Görli ‚White Wendisch auf Vanilleeis, (hoffentlich) euren Urlaub und laue Sommerabende.

Herbie und Eure Schnittstelle

Wenn Ihr mehr von den besonderen Lebensmitteln aus der Bio-Div-Kiste haben wollt, so gibt es sie meist auch in unserem Depotverkauf. Vielleicht wollt ihr noch etwas anderes aus unserem Sortiment? Ruft an oder schreibt vor dem nächsten Abo-Termin und gebt uns eure Bestellung durch. Dann bringen wir die Waren zusammen mit der Bio-Div-Kiste mit. Infos zum Thema Landwirtschaft, Biodiversität, Solidarökonomie, Lebensmittel allgemein und unsere Waren, findet ihr unter http://schnittstelle.blogsport.de

Mit dem Ferrari ins Gemüsebeet… (Ein Versuch in einer automobilen Gesellschaft die Saatgut-Zulassung anschaulich zu machen )

Würde man das Verfahren der Saatgut-Zulassung zum Beispiel auf den Bereich der Zulassung von Fahrzeugen für den Straßenverkehr übertragen würde, dann sähe es wohl so aus:
Bevor ein einzelnes Fahrzeug zugelassen wird, muss zunächst der Fahrzeugtyp als solcher zugelassen werden. Straßenfahrzeuge sind zum Beispiel Fahrräder (traditionelle Sorten), E-Bikes (weiterentwickelte traditionelle Sorten), Motorroller (bäuerliche Sorten), Kleinwagen (Sorten für den Ökolandbau) oder Sportwagen (Sorten für die industrielle Landwirtschaft). Die Zulassungsbehörde (das Sortenamt) muss bei Neuanmeldungen von Fahrzeugtypen für den Straßenverkehr (also den Saatgutmarkt) Prototypen überprüfen, und zwar nach einheitlichen Kriterienkatalog für Straßenfahrzeuge.
Die Kriterien sind ganz einfach: grundsätzlich werden alle Fahrzeuge zum Straßenverkehr (respektive Saatguthandel) zugelassen, die a) in weniger als 12 Sekunden von 0 km/h auf 100 km/h beschleunigen, die b) eine Höchstgeschwindigkeit von 180 km/h erreichen und c) eine unverwechselbare Silhouette haben (im übertragenen Sinn: die DUS-Kriterien erfüllen, also hohe Homogenität [Uniformity]. Langdauernde Unveränderlichkeit [Stability] und scharfe Unterscheidbarkeit [distinctness] aufweisen).
„Wie?“, fragen Sie und beklagen: „das ist doch ungerecht!“ Ihnen ist die Fahrzeugfarbe wichtiger als die Beschleunigungsfähigkeit oder die Höchstgeschwindigkeit? Papperlapapp. Aber wir wollen mal eine Ausnahme machen: alle Fahrzeugtypen, die vor Inkrafttreten der neuen EU-Fahrzeugzulassungsverordnung verkauft wurden, dürfen weiterhin verkauft werden. Fahrräder, Motorroller, Kleinwagen und Sportwagen.
Sie wollen aber Fahrräder weiterentwickeln zu E-Bikes? Sie wollen neue Typen von Motorrollern und Kleinwagen entwickeln? Nun, dann bemühen Sie sich doch, die Zulassungskriterium zu erfüllen! Sie sagen: „Das geht doch gar nicht“? Nun, das ist dann wohl Pech. Oder Ihre Unfähigkeit? Vielleicht sollten Sie sich mit etwas anderem befassen als Fahrzeugbau, wenn Sie das nicht schaffen!

Aber gut, es gibt da eine Möglichkeit. Wenn Sie nicht professionell Straßenfahrzeuge bauen wollen, dann müssen Sie sich auch nicht als Straßenfahrzeugbauer registrieren lassen. Die Straßenfahrzeugzulassungs- verordnung gilt nur für professionelle Hersteller. Bauen Sie doch einfach in ihrer privaten Werkstatt etwas (Entwickeln Sie als Amateur eine Sorte weiter oder neu). Tüftler und Erfinder sind immer gerne gesehen!
Und vielleicht schaffen es sie ja auch, einen Sportwagen zu entwickeln und zu bauen? Nichts ist unmöglich!

Aber passen Sie auf! Wenn Sie gut sind und Ihre Entwicklungen so erfolgreich, dass viele ein Modell davon haben wollen (resp. Saatgut von ihrer neuen oder weiterentwickelten Sorte), dann versuchen Sie nicht, Ihren Lebensunterhalt damit zu verdienen. Sonst müssten wir Sie nämlich als professionellen Fahrzeugbauer einstufen, und Sie müssen alle Fahrzeugtypen (Sorten) zulassen, die Sie für den Markt bereit halten.
Ach so, eines noch: wenn Sie ein besonders schönen alten Fahrradtyp gefunden haben, seine originalgetreue Erhaltung pflegen, z.B. Konstruktionsunterlagen aufbewahren und hin und wieder Modelle davon bauen, dann können Sie sich als Erhalter dieses Fahrradtyps eintragen lassen und dürfen auch ganz legal Exemplare davon verkaufen. Sie bekommen dann nur die kleine Auflage, dass Sie diesen Fahrradtyp auch wirklich pflegen und Modelle davon anbieten müssen.
Wie? Sie wollen lieber ihr altes Fahrrad weiterfahren, wenn das so ist. Aber natürlich, machen Sie das – kein Problem! (So hat ja auch die Landwirtschaftsministerin gesagt, dass jeder Gärtner sein Saatgut weiter verwenden darf. Wohlgemerkt: jeder sein eigenes.) Fahren sie also mit ihrem eigenen alten Fahrrad weiter.
Wenn es aber kaputt geht, haben sie da ein Problem. Vielleicht haben Sie ja noch ein zweites und ein drittes Fahrrad in der Garage. Oder mögen Sie nicht doch ein zugelassenes kaufen?
Oder gehen Sie doch einfach zu Fuß! (Sammeln Sie Wildpflanzen!) Das sind günstig und gesund, man ist dabei viel an der frischen Luft.
Das reicht Ihnen nicht? Nun, dann kaufen Sie doch endlich ein Fahrzeug eines großen Konzers, wie es auf dem Markt angeboten wird. Seien sie nicht so wählerisch, Sie werden schon nicht daran sterben! Mahlzeit!

Andreas Riekeberg, 29.4.2013

P.S.: Wenn es nicht hinken würde, wäre es kein Vergleich…

„Eine Nische macht noch keinen Sommer“

Zugeständnisse der EU-Kommission an Sortenerhalter bei weiterer Privilegierung der Saatgut-Industrie und industrieller Agrarproduktion

Der Vorschlag der EU-Kommission für ein einheitliches Saatgutgesetz ist in letzter Minute den Erhaltern von Vielfaltssorten entgegengekommen, indem eine Nische für Saatgut von Betrieben mit weniger als 10 Beschäftigten und 2 Mio. Euro Jahresumsatz errichtet wurde (Art. 36). Wie jedoch diese Nische schließlich ausgestaltet wird: welche Packungsobergrenzen, welche Anforderungen an Nachverfolgbarkeit und an die Vermarktung selber gelten werden – das bleibt noch verborgen. Nach dem Vorschlag der Kommission soll es ihr selber überlassen werden, dies in einem „delegated act“ festzulegen, der erst nach einer etwaigen Verabschiedung der Verordnung durch Parlament und Ministerrat erlassen wird.
Bezüglich der bäuerlichen und gärtnerischen Saatgutproduzenten hat es im Gesetzesvorschlag keine wesentlichen Verbesserungen gegeben. Gemäß Art. 5 müssen sich alle, die professionell Saatgut herstellen, als „Betreiber“ registrieren lassen und die Anforderungen der Art. 6 bis 8 erfüllen. Und bleiben sie nicht in der Nische nach Art. 36 mit der unklaren Ausgestaltung, dann müssen auch sie ihre Sorten registrieren lassen, um davon Saatgut verkaufen oder sonst auf dem Markt anbieten zu dürfen.
In Art. 14 wird eine grundsätzliche Registrierungspflicht für Sorten statuiert, von denen Saatgut auf dem Markt gebracht werden darf, und hinsichtlich der Vermarktung wird in Art. 3 der Verkauf und das Verschenken gleichgesetzt, indem definiert wird: „making available on the market“ ist das Anbieten zur Abgabe, „whether free of charge or not.“
Der für bäuerlich produyiertes Saatgut wichtige Bereich von Landsorten, die keine „reinen“ Sorten darstellen, sondern Populationen, wird ebenfalls nach Art. 14 (3) in eine Ausnahmereglung geschoben, die der späteren Verordnung durch die EU-Kommission überlassen werden soll. Doch diese Landsorten sind für kleinteiligere Landwirtschaft nicht nur in Deutschland ein wichtiges Produktionsmittel.

Zugeständnisse an die Saatgutindustrie –
Der Vorschlag für eine neue Saatgutgesetzgebung fördert die High-Input Sorten der großen Saatgut-Konzerne: Zum einen soll die Erteilung eines Rechtsschutzes auf Pflanzensorten als Beleg dafür gelten, dass die Sorten den Registrierungskriterien Unterscheidbarkeit (distinctness), Unifomität (unifomity) und Unveränderlichkeit (stability) genügen, das gibt dem privaten Rechtsschutz auf Pflanzenzüchtungen eine unangemessene Bedeutung im Bereich des öffentlichen Rechtes der Saatgutverkehrszulasung.
Zum anderen soll nach Art. 23 auch noch die private Zertifizierung von Saatgut erlaubt werden. Durch beides werden die Fixkosten für die staatliche Registrierungs- und Zertifizierungsbehörden vermehrt auf diejenigen Züchter umgelegt, die keine eigenen Abteilungen dafür vorhalten können.
Resümee –
Insgesamt bleibt der ganze Ansatz der EU-Saatgutgesetzgebung zugeschnitten auf die Hochleistungssorten der Saatgutindustrie für die industrielle Landwirtschaft. Die Vielfaltssorten und bäuerliches Saatgut werden nur ausnahmsweise akzeptiert.
Das ist unangemessen angesichts des fortscheitenden Verlustes an Biodiversität, also des agrikulturellen Erbes der Menschheit aus 10.000 Jahren Landwirtschaft und Gartenbau. Durch ein zeitgemäßes Saatgutgesetz wäre demgegenüber die Erhaltung und Ausweitung der Vielfalt zu fördern und größtmögliche Transparenz und Kontrolle bezüglich der industriellen Saatgutproduktion herzustellen.

Die Forderungen zur Stärkung der bäuerlichen Landwirtschaft und der Vielfalt von Sorten für den Anbau ohne Agrarchemie:
– Der Geltungsbereich der Verordnung darf den freien Saatguttausch für Saatguterhalterinnen und Bäuerinnen nicht betreffen!-
– Keine verpflichtende Zertifizierung oder Registrierung von frei abblühendem (samenfestem) Saatgut!
– Keine Diskriminierung von Biosorten im Zulassungsverfahren bei der Registrierung durch überzogene Pflanzengesundheitsauflagen!
– Offenlegungspflicht für Zuchtmethoden (Gentechnik), Hybridtechnik und geistige Eigentumsrechte (Patente und Sortenschutz) von registrierten konventionellen Sorten!
– Neudefinition des Begriffs Sorte: Nicht nur homogene und stabile Industriesorten (die DUS -Kriterien erfüllend), sondern auch frei abblühende (samenfeste) Selektionen von variablen genetisch breiteren Populationen.
– Keine Privatisierung von Registrierung und Saatgutzulassung!

Kontakt: Andreas Riekeberg, Wolfenbüttel, mobil: ++49(0)170-1125764, info@saatgutkampagne.org

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